Es gibt Menschen, die sich absichtlich mit HIV infizieren. Sie suchen im Internet nach der Krankheit; Manche aus Liebe, andere weil sie Schulden oder Angst haben und wieder andere suchen nach einem sexuellen Kick. Unsere Autorin hat sich auf die Suche nach Ihnen begeben.
http://www.welt.de/multimedia/archiv...s__156828p.jpg
Als es das erste Mal passiert, sucht Peter* sein bestes Hemd raus. Er wäscht und parfümiert sich, rasiert seinen Körper. Er legt das "Spielzeug" zurecht: Masken, Fesseln. Er packt alles in eine Tasche. Bevor er das Zimmer verlässt, zögert er kurz, atmet noch einmal ein, noch einmal aus. Dann geht er. Drei Stunden später hat Peter einen Menschen mit HIV infiziert. An diesem Abend wird er sich "wie Gott" fühlen und mit einem Lächeln auf den Lippen einschlafen. Im Internet hat Peter eine Anzeige geschaltet: "Hengst mit hoher VL pozzt dich."
Pozzen leitet sich ab von positiv. Es bedeutet, jemanden absichtlich mit dem tödlichen Virus zu infizieren, HIV-positiv zu machen. VL bedeutet Viruslast. Je höher die Viruslast, desto mehr Erreger sind im Blut, im Sperma, desto wahrscheinlicher ist eine Ansteckung. Pozzen findet man im Internet auf Dutzenden Seiten. Dort sucht poz_boy einen Mann, der ihn "so richtig geil ansteckt" und 666Berlin will, dass "jemand meinen Freund pozzt". Dort schreibt abenteuer28, dass er "immer noch negativ" ist, und barekerl will ihm helfen.
Bei der Berliner Aidshilfe kennt man Pozzing. Ja, das gebe es, das seien aber Einzelfälle. "In Deutschland gibt es vielleicht ein paar Hundert Menschen, die ab und zu mit dem Gedanken spielen, sich absichtlich zu infizieren, und ein paar Dutzend, die es tatsächlich tun", sagt der Geschäftsführer Kai-Uwe Merkenich. Bekannter ist das sogenannte Barebacking, das bedeutet umgangssprachlich Sex ohne Kondom, also das Inkaufnehmen einer Infektion, das "russische Roulette". Doch die, die sie bewusst suchen, die Krankheit und den Tod, über sie gibt es keine Studien, keine Zahlen. Man muss sie suchen.
Einer, der HIV-positiv wurde, weil er es so wollte, ist Mike*. Mike ist 29 Jahre alt, lebt in einer deutschen Großstadt. Er macht gerade eine Ausbildung. Sein Freund hat einen leitenden Posten in einem internationalen Konzern.
Der Schmerz ist endlich da
Anzeige
Mike ist einer dieser Menschen, die ein sonniges Gesicht haben, doch er sagt, dass immer ein Schatten auf ihm lag. Er war schon immer ein ängstlicher Mensch. Er wurde gehänselt. Warum, weiß er nicht. In der Schule gaben sie ihm einen Spitznamen, der so schlimm war, dass er ihn heute nicht mehr in den Mund nehmen will. Er wurde oft verprügelt. Irgendwann war er einfach froh, wenn er die erste Faust in seinem Gesicht spürte, denn dann war die Angst endlich weg und der Schmerz endlich da.
Er war schon lange aus der Schule raus, als er feststellte, dass er schwul ist. Und dass er auf Dinge steht, die viele Menschen nicht verstehen: Gummimasken, Skinstiefel. Auf Sex, der sich um Gewalt und Beherrschung dreht. Und er stellte fest, dass er sich in einer Szene befindet, in der sehr viele Menschen das Virus in sich tragen. Da war sie wieder, die Angst. Gott, ich könnte positiv sein. Gott, mach, dass ich leben darf.
Als er mit der Angst nicht mehr leben wollte, suchte er im Internet einen Pozzer. An dem Tag, als er sich infizieren wollte, setzte er sich in sein Auto und fuhr zu Jan, 30 Jahre alt, HIV-positiv. Sie aßen zusammen Nudeln mit Fleischsauce, dann schliefen sie miteinander. Mike erzählt es so: "Es ging ewig hin und her. Mal schrie er: Ich geb' dir das Virus, ich geb's dir. Dann hörten wir auf, und ich schrie ihn an: Gib's mir endlich, das Scheiß-Virus. Irgendwann kam er. Und ich weinte die nächsten Stunden."
Gib mir das Virus
http://www.welt.de/multimedia/archiv...es_156830l.jpg
Das war vor drei Jahren. Inzwischen ist Mike einer von 56 000 Deutschen, die HIV-positiv sind. Es werden mehr. 2006 infizierten sich hierzulande 2700 Menschen, das waren 50 Prozent mehr als im Jahr 2000. Knapp drei Viertel steckten sich bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr unter Männern an, ein Viertel der Infizierten ist heterosexuell. Das Virus breitet sich unter Homosexuellen besonders schnell aus: durch die höhere Ansteckungsgefahr bei Analverkehr und weil homosexuelle Männer im Durchschnitt häufiger den Partner wechseln als Heterosexuelle.
"Das bewusste Eingehen von sexuellen Risiken ist ein schwules Phänomen. Das ist auch der Grund, warum das in der Szene sogenannte Pozzen fast ausschließlich unter Schwulen vorkommt - nicht weil sie verrückter oder lebensmüder sind, sondern weil das Virus näher an ihnen dran ist", sagt Phil Langer, Sozialpsychologe und Mitglied der Arbeitsgruppe HIV an der Universität München. "Fast jeder Schwule kennt jemanden, der positiv ist. Die Krankheit ist in ihren Gedanken sehr präsent und führt daher auch häufiger zu irrationalem Verhalten." Aber es gibt auch Heterosexuelle, die sich absichtlich infizieren. Solche Fälle sind aber seltener.
Phil Langer untersucht in einer Studie, warum sich homosexuelle Männer mit HIV infizieren (siehe Kasten). Er traf Menschen, die die Infektion absichtlich suchten. Er sagt, dass sie alle unterschiedliche Gründe haben. Er traf Männer, die sich infizierten, weil ihr Partner HIV-positiv ist, und solche, die am sozialen Abgrund stehen. Er traf Menschen mit Todessehnsüchten und solche, die den Kick suchen, für die pozzen ein Fetisch ist. Er sagt, dass er manche verstehen kann. Dass viele erleichtert sind, wenn sie hören, dass sie nun positiv sind. Und dass viele verzweifeln, wenn sie später verstehen, was das heißt. Er sagt, dass Menschen, die sich verloren fühlen, oft die unglaublichsten Dinge tun.
Man findet diese Verlorenen auch im Internet
Man findet die Verlorenen auch im Internet. Yvonne* schreibt: "Hallo, bin 23j. und suche Typen die mich pozzen. Bis jetzt alles erfolglos. Bin nicht hässlich." Sie schreibt, "dass es geil wäre, positiv zu sein", weil sie dann andere anstecken könnte, "Männer, die es nicht anders verdient haben". Sie fragt: "Was ist geiler als Sex und Tod zugleich?" Frank* suchte im Internet nach jemandem, der ihn pozzt, weil er unter sein Leben einen Schlussstrich ziehen will: "Ich kämpfe für meine Firma, mir kann Gefängnis drohen, weil ich Bußgelder am Arsch kleben habe von 8000 Euro. Knast nur über meine Leiche! Deswegen ist mir mein Leben so scheißegal, weil ich auch langsam so nicht mehr kann mit allem. Sterben werde ich so oder so. Warum noch warten bis 60, 70, 80 oder 90?"
Martin* sagt, dass sein Freund positiv ist und sich weigert, ihn anzustecken, dass er aber endlich gepozzt werden will, weil "dann steht nix mehr zwischen uns". Martin will mit seinem Freund in den Tod gehen. Und er will mit ihm schlafen ohne dieses "Scheiß-Gummi". Eigentlich will Peter sich gar nicht treffen und seine Geschichte erzählen. Denn im Grunde weiß er, dass es falsch war, Menschen anzustecken. Doch dann schreibt er per E-Mail: "Okay, aber ich geb' dir nicht meinen Namen, du schreibst nicht mit, wir treffen uns draußen auf der Straße, und wenn du mich bescheißt, mach ich dich fertig".
Peter verkauft den Tod
Am Berliner Ku'damm ist es voll. Es ist einer jener Wintertage, an denen der Himmel so blau ist, dass es schmerzt, ihn anzusehen. Peter sieht gut aus, er ist groß, er ist schlank, sein Gesicht ist komponiert wie eine schöne Melodie. Er hat die weichen, kleinen Hände einer Frau, doch seine Nägel hat er bis aufs Fleisch abgekaut. Er sagt: "Was willst du wissen, mach schnell." Er friert, er zittert, er hat keine Zeit, er hat "keinen Bock, hier ewig zu quatschen".
Angesteckt habe er sich vor ein paar Jahren, auf "so Partys, auf denen nicht viel gefragt wird". Es sei ihm damals völlig egal gewesen, das mit dem "Scheiß-Aids". Als er dann wusste, dass er HIV-positiv ist, als er die Gewissheit hatte, da sei er total ausgerastet. Da habe er erst mal "gefickt", dauernd, wen er so kriegen konnte. Arbeitslos war er damals schon. Und dann noch die Krankheit. Aussätzig habe er sich gefühlt, sagt er. So, als würde er innerlich verfaulen. Manchmal stand er in seinem Badezimmer und schrubbte seine Haut, bis sie rot war, bis Blut an seinem Körper runterlief, "dreckiges Blut". Er scheuerte seine Oberfläche, als könne er sich von dem, was darunter vorgeht, reinwaschen.
Irgendwann hat Peter dann festgestellt, dass es auch Menschen gibt, die es "geil finden, wenn du Aids hast". Einigen schenkte er den Tod. Anderen verkaufte er ihn. "So ein alter Sack hat mir 200 Euro gegeben. Der hat danach gewimmert." Er spuckt aus.
Bald wird man sehen, dass er krank ist
Wenn Peter spricht, dann hört er sich an wie jemand, dem egal ist, was da in seinem Blut geschieht. Der sich nicht schert, dass die Viren Zellen befallen und sie so umwandeln, dass sie neue Viren produzieren. Dass die Viren bevorzugt die Zellen angreifen, die auf ihre Bekämpfung spezialisiert sind. Dass sein Immunsystem ohne Behandlung etwa zehn Jahre klarkommt. Und dass ihm mit einer Therapie dann vielleicht noch einmal weitere zehn bleiben.
Ihm ist egal, dass die Medikamente zwar die Viren im Blut töten können, aber dass sie an die Organe, die Zellen nicht rankommen.Er ignoriert, dass sich ständig neue, resistente Unterstämme im Körper bilden und dass er immer wieder andere Medikamente brauchen wird, die wiederum Depressionen oder starke Nervenschädigungen auslösen können.
Er nimmt in Kauf, dass man bald sehen wird, dass er krank ist. Dass seine Beine immer dünner werden, seine Wangen vielleicht einfallen. Und dass dann bald der Tod kommt, in ganz unterschiedlicher Gestalt. Dass er langsam an einem kleinen, scheinbar harmlosen Magen-Darm-Erreger oder an einer Lungenentzündung sterben kann, die sein Immunsystem nicht mehr bewältigt. Dass er genauso gut erbärmlich an einem Tumor zugrunde gehen kann. Oder verhungern. Manche Aidspatienten können die Nährstoffe nicht mehr verwerten und die Nahrung nicht mehr bei sich behalten.Peter sagt, dass er viele kennt, die positiv sind, aber niemanden, der bislang daran gestorben ist. Das ist das Gefährliche an dieser Krankheit. Dass sie für viele so aussieht, als sei sie besiegt. Er hat keine Ahnung, dass man bald sehen wird, dass er krank ist. Dass seine Beine immer dünner werden, seine Wangen vielleicht einfallen. Dass er einen Stiernacken bekommen kann, jene Fetteinlagerung, die durch die Krankheit entsteht. Er weiß nicht, dass dann der Tod kommt, in ganz unterschiedlicher Gestalt.
Dass er langsam an einem kleinen, scheinbar harmlosen Magen-Darm-Erreger oder an einer Lungenentzündung sterben kann, die sein Immunsystem nicht mehr bewältigt.Dass er genauso gut erbärmlich an einem Tumor zugrunde gehen kann. Oder verhungern. Manche Aidspatienten können die Nährstoffe nicht mehr verwerten und die Nahrung nicht mehr bei sich behalten.
Ist Aids noch gefährlich?
Als die Seuche Anfang der 80er-Jahre zum ersten Mal auftrat, raffte sie viele schnell dahin. In Kalifornien und New York trat damals unter homosexuellen Männern zum ersten Mal der unbekannte Feind auf. Als dann auch die ersten Heterosexuellen erkrankten, kam es zu hysterischen Reaktionen. Die Liste der diskutierten Ursachen reichte von medizinischen Experimenten der CIA hin bis zur "Strafe Gottes". 1983 gab es das erste Fahndungsbild des Virus. "In den USA starb damals eine ganze Generation von Schwulen weg", sagt Kai-Uwe Merkenich. "Deshalb spielt pozzen dort eine größere Rolle."
Denn in Amerika kennt man den Begriff. Dort spricht man auch vom "bug chaser" und "gift giver", zu Deutsch: Virussucher und -schenker. "Die jungen Homosexuellen identifizieren sich dort sehr stark mit den vielen Toten der alten Generation. Viele empfinden so eine Art Überlebensschuld, man kennt das von anderen Katastrophen", sagt Merkenich. "Die Krankheit ist in den USA stark stigmatisiert. Bis vor Kurzem durfte man als HIV-Infizierter nicht einmal in das Land einreisen. So entstand ein Gefühl: Wir, die Schwulen - und ihr, die anderen. Und zum "Wir" gehört für manche auch HIV."
Mike sagt, dass er nichts bereut. Es gab mal Zeiten, als ganz sicher war, dass er positiv ist, als er das Testergebnis hatte, da ging es ihm "beschissen". Heute sagt er, auf einer Gefährlichkeitsskala von eins bis zehn gebe er der Krankheit eine fünf. Seine Eltern, beide um die fünfzig, die werde er sicher überleben, sein Vater, der sei ja immerhin Kettenraucher. Und er, er ernähre sich ja gesund. Mikes Immunsystem ist noch stabil.Peter sagt, dass er sich das auch mal alles anders vorgestellt hat. Früher wollte er ein Buch schreiben, was über Menschen, denn eigentlich "mag er Menschen". Früher, als die Zukunft noch unschuldig vor ihm lag, wie ein unberührtes Schneefeld, da träumte er diesen Traum von literarischer Unsterblichkeit. Das alles scheint nun so weit weg, als wäre es der Traum eines anderen gewesen.
"Du dumme Schlampe"
Inzwischen hat er neun Menschen über das Internet getroffen und sie wahrscheinlich infiziert. Er sagt, dass er die ganze Welt zu Tode ficken kann. Doch jetzt läuft er erst mal immer schneller, er will weg. Ist dieses Interview denn endlich vorbei?
Gleich. Nur ein paar Fragen noch. Ob er weiß, dass das, was er tut, strafbar ist, Körperverletzung mit Todesfolge? Ob er weiß, dass die meisten HIV-Positiven es irgendwann bereuen, todkrank zu sein? Ob er weiß, dass ihm selbst auch nicht mehr ewig Zeit bleibt? Er schreit: "Du dumme Schlampe, du denkst jetzt, du lebst ewig, aber du lebst nicht ewig, du wirst genauso abkratzen wie ich auch, nur dass ich es jetzt schon weiß, du Schlampe." Dann dreht er sich um und rennt weg, ganz so, als ginge es um sein Leben.
* Namen von der Redaktion geändert
link
http://www.welt.de/vermischtes/artic...anstecken.html
Lesezeichen